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News vom Marketing-Club Neckar-Alb

Aus Radio wird Cloudio

MCNA on Tour // Mai 2023

Dass Messen das Mittel der Wahl ist, muss sich Club-Beirat Roland Bertler als Marketing-Chef von dataTec von niemandem erzählen lassen. Dennoch hatte er für den Vortrag bei der Mai-Veranstaltung in der Alten Färberei Reutlingen mit Philipp Kurz einen alten Bekannten im Club gewonnen, der seit seinem Abschied aus Neckar-Alb Radioprogramme des Bayerischen Rundfunks neu aufstellt. Zwei Überzeugungen wurden in den von Jochen Kirsammers EbnerStolz-Team zur Verfügung gestellten Räumen in der Alten Färberei Reutlingen überaus deutlich: Wunsch-Kunden lassen sich nicht backen, aber sehr genau definieren und die Datenbasis dafür bekommt man nicht durch Umfragen sondern aus tiefenpsychologischen Studien.

 

Moderator Christoph Koppensteiner stellte Philipp Kurz dem Teil des Publikums, das ihn nicht noch als Mitbegründer von RTF 1 und späteren SWR-Strategen kennengelernt hatte, als "Medienmacher, der schon aus dem Mutterleib Klopfzeichen gegeben hat" vor. Sein jüngstes Verdienst beim BR sei es gewesen, der privaten Konkurrenz die Marktführerschaft wieder abzujagen. Wie dies gelang, erläuterte der Referent vor allem am Beispiel des Unterhaltungsprogramms BR 3, das mit den 20- bis 45-Jährigen die jüngste Zielgruppe des Senders anspricht.

Überhaupt die Ansprache: "Wer siezt, fliegt raus", postulierte Kurz ein Gebot des Programms, das gegen Widerstände des Rundfunkrats und des früheren Intendanten habe durchgesetzt werden müssen. In der "flüchtigen Hörsituation" einer Unterhaltungssendung störe das "Sie". Deshalb werde das Publikum konsequent und wie in Bayern in dieser Altersklasse üblich, mit "Ihr" und "Euch" adressiert. Das "frontale Du" komme jedoch als "zu urban" nicht infrage. Das Programm von Bayern 3 charakterisierte Kurz als "laut, schnell, bunt, aggressiv, geht nach vorne und ist manchmal stressig". Dass es zu diesem Profil kam, liege daran, dass im letzten Jahrzehnt der Privatsender Antenne Bayern den öffentlich-rechtlichen Wettbewerber in der Publikumsgunst abhängte, nachdem sich dieser über Jahrzehnte auf welkendem Lorbeer ausgeruht hatte.

Mit "Gottschalk, Jauch und Maischberger" nannte Kurz drei prominente Namen, die in den frühen 80er-Jahren mit Radio-Formaten nach amerikanischem Vorbild beim BR für Furore sorgten. Allerdings sei dann lange wenig passiert, was Kurz mit der seitherigen Evolution des Verkehrsfunk-Jingles akustisch unterlegte. Scharf umrissene Zielgruppen habe es nicht gegeben, in den Äther gingen hintereinander gesetzte Stücke aus den Fachredaktionen. So hätten etwa Verbrauchertipps viel Sendezeit eingenommen, seien beim Publikum aber im Hintergrund verrauscht. 2014 habe man schließlich mit "Schock-Charts" alle Mitarbeiter wachgerüttelt und mit dem Neuaufbau auf drei Säulen angefangen: Neben dem Hörfunk geht die Veranstaltungssparte gezielt das Publikum vor Ort an und produziert dabei Content für das Programm - zum Teil richteten sich die Events ganz bewusst auch an jüngere Leute, "deren Eltern eigentlich Bayern 3 hören". Im Netz habe Bayern 3 früh eine eigene Präsenz auf Facebook gehabt und binde über Podcasts Hörerinnen und Hörer. Mittlerweile seien die Podcast-Serien mit aus dem Funk bekannten Stimmen so gut eingeführt, dass daraus wiederum Bühnen-Tourneen entwickelt wurden. Kurz verwendete für dieses Plattform-Zusammenspiel den Begriff "Cloudio".

Wem das Programm gefallen soll, darauf hat sich Bayern 3 ganz genau festgelegt: Es ist eine 33-jährige Physiotherapeutin, die sich mit Partner und zwei Kindern in der "Rush-hour des Lebens" befinde und als Papp-Aufsteller in allen Büros präsent sei. Nur durch diese bewusste Zuspitzung ließen sich wachsweiche Kompromisse bei Themen- und Musikauswahl vermeiden. Als "zu männlich, Rock-lastig, oberbayerisch und angestaubt" sei Bayern 3 früher wahrgenommen worden, erklärte Kurz, "aber der Markt ist mehrheitlich weiblich." Die nötigen Erkenntnisse zur Erstellung dieser idealen Persona habe der BR aus einer initialen Wirkungsstudie mit 1.500 Probanden gezogen, die regelmäßig mit 600 Probanden kontrolliert werde. Die Vorzüge von "ehrlichem" Kernspin und Eye-Tracking gegenüber "sozial erwünschten Antworten" auf Fragebögen erklärte Kurz anhand seiner persönlichen Erfahrung mit den Neuromarketing-Methoden: "Ich habe im Profiling Dinge über mich erfahren, von denen ich wusste, die ich mir aber nicht eingestehen wollte." Anhand der Untersuchungen seien in 30 Bereichen "granular Empfehlungen und Ableitungen" formuliert worden, die nun als Maß aller Dinge zurück an die Spitze des Wettbewerbs geführt haben.